Kontext - Jedes Jahr werden weltweit über 100.000 Affen und Menschenaffen für die biomedizinische Forschung eingesetzt. Ihre genetische Ähnlichkeit zum Menschen macht sie besonders geeignet zur Prüfung der Unbedenklichkeit neuer Medikamente und zur Erforschung von Gehirn und Infektionskrankheiten. Aber gerade diese Ähnlichkeiten zum Menschen werfen besondere ethische Fragen zur Verwendung von Affen und Menschenaffen in wissenschaftlichen Versuchen auf.
Gibt es Alternativen zur Verwendung von nichtmenschlichen Primaten in Forschung und Unbedenklichkeitspüfung? Wäre es möglich diese Versuche völlig einzustellen?
Ein Bericht des Wissenschaftlichen Ausschusses Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission (SCHER).
Die Antworten auf diese Fragen sind eine sinngetreue Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Gutachtens, das in 2009 durch den den Wissenschaftlichen Ausschuss Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission (SCHER) veröffentlicht wurde: "
Ca. 12 Millionen Tiere werden jedes Jahr innerhalb der EU für wissenschaftliche Verfahren verwendet, darunter ca. 10.000 nichtmenschliche Primaten (NHPs), hauptsächlich Affen und Menschenaffen. Versuche mit solchen Primaten haben zu wichtigen Erkenntnissen in der Biologie und Medizin geführt.
Heutzutage werden Primaten nur in Tierversuchen benutzt, wenn keine geeigneten Alternativverfahren verfügbar sind oder der Versuch mit anderen Arten nicht den Zweck erfüllt. Das Haupteinsatzfeld ist die Prüfung der Unbedenklichkeit von Pharmazeutika und Medizinprodukten, aber auch die Grundlagenforschung in der Biologie sowie die Forschung und Entwicklung medizinischer Produkte und Geräte.
Fast alle in wissenschaftlichen Versuchen eingesetzten Primaten sind Nachkommen von Tieren, die selbst in Gefangenschaft gezüchtet worden sind, teilweise seit Generationen. Abgesehen von einigen Ausnahmen, ergeben Versuche an gezüchteten Tieren meist genauere und verlässlichere Daten als Versuche an Wildfängen. Primaten, die in freier Wildbahn gefangen wurden, werden sehr selten in der Forschung verwendet, sind aber dennoch notwendig, um nachteilige Wirkungen der Inzucht innerhalb der Bestände zu vermeiden.
Was artgerechte Tierhaltung angeht, wurde in den letzten Jahren sehr viel in die Verbesserung der Unterbringung von Primaten in Gefangenschaft investiert, um ihren körperlichen und soziale Bedürfnissen gerecht zu werden. Mehr auf Englisch
2.1 Bevor Arzneimittel auf den Markt kommen, muss deren Unbedenklichkeit im klinischen Versuch am Menschen überprüft werden. Die im Vorfeld an Tieren – oft Ratten und Hunden – durchgeführten Experimente dienen dazu, die Gesundheit dieser Versuchspersonen zu schützen. Nur sehr wenige zukünftige Arzneimittel werden tatsächlich an nichtmenschlichen Primaten (NHPs) getestet. Primaten werden zur Unbedenklichkeitsprüfung von Medikamenten mit möglichen Wirkungen auf die weiblichen Genitalorgane, Augen, Geburts-Ergebnisse, die Blutgerinnung oder das Gehirn verwendet, da sie die einzigen Säugetiere sind, deren physiologische Eigenschaften denen des Menschen nahe kommen. Mehr auf Englisch
2.2 In der Forschung im Bereich Infektionskrankheiten werden die Impfstoffe und Arzneimittel nach der Entwicklungsphase normalerweise zunächst an im Labor gezüchteten Zellkulturen getestet, dann an Tieren und schließlich am Menschen, um ihre Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zu überprüfen. Primaten sind oftmals die geeignetsten Versuchstiere, da ihr Immunsystem große Ähnlichkeiten zu dem des Menschen aufweist. Primatenarten sind die einzigen Tiere, die verwendet werden können, um wirksame Impfstoffe und Medikamente für den Menschen gegen Malaria, Tuberkulose, Hepatitis C oder das HIV-Virus zu entwickeln. Primaten werden eventuell auch benötigt, um schnell neue Krankheiten wie SARS zu entdecken, die sich auf der ganzen Welt verbreiten könnten. Mehr auf Englisch
2.3 Primaten spielen eine einzigartige Rolle in der Hirnforschung, da ihre Gehirne die einzigen in der Tierwelt sind, die an die Komplexität des menschlichen Gehirns heranreichen. Schmerzforschung und Versuche an Primaten, bei denen die Schädeldecke geöffnet werden muss, werfen erhebliche ethische Bedenken auf. Es werden einige neue, nichtinvasive Forschungstechniken entwickelt, die beim Menschen und anderen Primaten eingesetzt werden können, aber ihr Anwendungsbereich ist noch sehr beschränkt. Mehr auf Englisch
2.4 Die Verwendung von Schweineorganen zur Transplantation ist eine Art und Weise, dem Mangel an Organspendern zu begegnen. Allerdings zeigt das menschliche Immunsystem gegenüber Schweineorganen eine starke Abstoßungsreaktion. Nur einige Primatenarten weisen eine ähnliche Reaktion des Immunsystems auf, daher können Tierversuche mit Medikamenten zur Verhütung einer Abstoßung des Transplantats nur an diesen Arten durchgeführt werden. Mehr auf Englisch
Es gibt Alternativen zur Verwendung von nichtmenschlichen Primaten (NHPs) in Forschung und Unbedenklichkeitsprüfungen, die Tierversuche an diesen Primaten ergänzen aber noch nicht vollständig ersetzen können. Soweit wie möglich sollte die Anzahl der Versuchstiere reduziert, Methoden verfeinert und die Benutzung von Versuchstieren durch alternative Verfahren ersetzt werden (3R-Prinzip für reduce-refine-replace). Mehr auf Englisch
3.1 Aus wissenschaftlichen Gründen ist die Prüfung von Arzneimitteln an nichtmenschlichen Primaten in bestimmten Fällen ein sehr kleiner, aber fast zwingender Teil des gesamten Testverfahrens, insbesondere bei Medikamenten und Impfstoffen, die das Immunsystem betreffen.
In bestimmten Fällen könnten genetisch veränderte Nagetiere möglicherweise Primaten ersetzen. Auch der klinische Versuch am Menschen mit extrem niedrigen Dosen des neuen Arzneimittels (Microdosing) wurde als Alternative zum Tierversuch vorgeschlagen. Da jedoch auch dann vorherige Prüfungen an Tieren erweisen müssten, dass diese geringe Dosierungen tatsächlich unbedenklich sind, ist unklar, ob diese Methode die Anzahl der Tiere, die in Tierversuchen verwendet werden wirklich vermindern würde. Mehr auf Englisch
3.2 Bei der Suche nach neuen Medikamenten und Impfstoffen gegen HIV, Hepatitis C oder Malaria werden Produkte zunächst an im Labor gezüchteten Zellkulturen, an Mäusen oder an beiden erprobt. Solche Tests bieten einen Einblick in Zellmechanismen, können aber nicht erschließen, wie ein Körper in seiner Gesamtheit auf die Infektion reagieren würde. Deshalb sind Versuche an nichtmenschlichen Primaten weiterhin notwendig. Mehr auf Englisch
3.3 Nichtinvasive Verfahren, die das Gehirn untersuchen ohne die Schädeldecke zu öffnen, sind vielversprechend und von großem Nutzen, um mehr über gesunde und geschädigte Gehirne zu erfahren. Solche Techniken sind jedoch weniger aufschlussreich als invasive Verfahren und müssen noch weiter entwickelt werden.
Computermodelle werden schnell besser, dennoch ist das menschliche Gehirn so komplex, dass ein realistisches Modell in der näheren Zukunft unwahrscheinlich ist. Mehr auf Englisch
3.4 Im Labor gezogene Zellkulturen und Nagetiere können im Vorfeld in der Forschung zur Transplantation von Tierorganen verwendet werden, die Transplantate müssen jedoch weiterhin an Tieren, einschließlich Primaten, getestet werden. Mehr auf Englisch
In der absehbaren Zukunft werden Versuche an nichtmenschlichen Primaten (NHPs) mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht völlig durch Labormethoden oder Versuche an anderen Tierarten ersetzt werden können.
Für die Unbedenklichkeitsprüfung neuer Arzneimittel bleiben Primaten vermutlich auch weiterhin die geeignetsten Säugetiere.
Zur Erforschung der HIV-Infektion können in Zukunft wahrscheinlich genmanipulierte Mäuse verwendet werden. Dennoch können Studien an Mäusen aus wissenschaftlichen Gründen Studien an Primaten nicht vollständig ersetzen.
Bei der Erforschung der Struktur und Funktionsweise des Gehirns können Computermodelle und nichtinvasive Verfahren, die kein Öffnen der Schädeldecke erfordern, invasive Methoden ergänzen, jedoch nicht komplett ersetzen. Allerdings schreitet die Entwicklung neuer Techniken und Technologien schnell voran und Fortschritte müssen regelmäßig neu beurteilt werden.
Die Entwicklung künstlicher Organe und Gewebe könnte die Verwendung von Primaten zur Prüfung von Medikamenten zur Vorbeugung einer Abstoßung von Tierorganen (meist Schweineorgane) durch den menschlichen Körper vermindern. Solche künstlichen Körperteile kommen jedoch meistens in Geräten zur Lebenserhaltung zum Einsatz und bieten keine Alternative zur Organtransplantation vom Tier zum Menschen. Mehr auf Englisch
Es gibt mehrere Möglichkeiten zur Reduzierung des Einsatzes von nichtmenschlichen Primaten (NHPs) in Forschungsgebieten, wo nicht völlig auf sie verzichtet werden kann:
Darüber hinaus sollten klare Angaben zur Tierart und Anzahl der Versuchstiere sowie zu den Versuchsmethoden öffentlich zugänglich gemacht werden. Mehr auf Englisch
Das Wohlbefinden nichtmenschlicher Primaten (NHPs) in der wissenschaftlichen Forschung kann auf verschiedene Art und Weise verbessert werden.
Der Wissenschaftliche Ausschuss Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission (SCHER) kommt zu dem Schluss, dass die Verwendung nichtmenschlicher Primaten (NHPs) aufgrund ihrer großen und zuweilen einzigartigen Ähnlichkeiten zum Menschen auch weiterhin notwendig ist. Dies gilt sowohl für die Unbedenklichkeitsprüfung neuer Arzneimittel wie in mehreren Bereichen der biomedizinischen Forschung, die sich mit Infektionskrankheiten und dem Gehirn befassen.
Der Wissenschaftliche Ausschuss Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission hat lediglich wissenschaftliche Aspekte berücksichtigt und ausdrücklich ethische, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Überlegungen ausgeschlossen. Diese werden von anderen Gruppen behandelt.
Zur Zeit sieht SCHER keine stichhaltigen wissenschaftlichen Argumente um den Einsatz nichtmenschlicher Primaten in der wissenschaftlichen Forschung und der Unbedenklichkeitsprüfung neuer Arzneimittel zu beenden. Dieser Standpunkt sollte jedoch regelmäßig neu überprüft werden, da ständig neue Alternativen entwickelt werden.
SCHER befürwortet für den Einsatz von nichtmenschlichen Primaten in wissenschaftlichen Versuchen das 3R-Prinzip, die Anzahl der Versuchstiere zu reduzieren, Methoden zu verfeinern und die Benutzung von Primaten durch Alternativen zu ersetzen (in Engl. reducing, refining, replacing). Der Ausschuss gibt eine Reihe von Empfehlungen:
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